Mittwoch, 19. Februar 2020

Solarstrom ist heute 6x günstiger, wird aber schlechter vergütet als vor 15 Jahren

Im Kanton St.Gallen vergüten Elektrizitätswerke Solarstrom schlechter als im Rest der Schweiz. Die Grünliberalen wollen über eine einfache Anfrage im Kantonsrat das Potenzial der erneuerbaren Energien auch in der Ostschweiz preiswert erschliessen. 

Selten kann man progressiv sein und etwas fordern, was bis vor 15 Jahren Gültigkeit hatte. Bis April 2008 war im schweizerischen Energiegesetz (Artikel 7) geregelt, dass elektrischer Strom aus erneuerbaren Energien genauso zu vergüten ist wie Strom aus neuen, gleichwertigen, inländischen Produktionsanlagen. 15 Rappen wurden damals pro Kilowattstunde bezahlt. Als Benchmark dienten die Produktionskosten neu errichteter Wasserkraftwerke in der Schweiz.

 

Was sich für heutige Solarbauern nach einem hohen Betrag anhört, war für damalige Verhältnisse nur ein Tropfen auf dem heissen Stein: Bürger mit Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach waren zu jener Zeit weitgehend Idealisten: Für einen wirtschaftlichen Betrieb einer solchen Anlage wären im Jahr 2008 etwa 50 Rp/kWh nötig gewesen. Im Mai 2008 wurde daher die KEV, die kostendeckende Einspeisevergütung eingeführt mit dem Ziel, die hohen Gestehungskosten zu jener Zeit zu überwinden und die Investitionen in erneuerbare Energien zu fördern. Erfreulicherweise haben sich die Gestehungskosten seitdem rasant nach unten entwickelt: Im Jahr 2017 wurde ein kostendeckender Betrieb mit Solarstrom bereits ab 11 Rp/kWh kalkuliert - d.h. bereits deutlich weniger als der vor der KEV geltende „15-Räppler“.

 

Die schöne, neue, regenerative und kostengünstige schweizerische Energiewelle wurde jedoch beendet, bevor sie richtig Fahrt aufnehmen konnte: Die in der KEV verankerte Deckelung ist schon seit langer Zeit erreicht und so erhält die 11 Rp/kWh nur noch diejenige Antragstellerin, die vor über 5 Jahren vorstellig geworden ist. 2/3 der schweizweit heute über 85’000 Solarstromproduzenten erhalten keine KEV, sondern den vom lokalen Elektrizitätswerk festgelegten Preis. Je nach Kalkulation, Goodwill und Strategie des Monopolisten sind dies häufig 3.75 Rp/kWh, meist 5 bis 9 Rp/kWh und nur in Ausnahmefällen bis zu 15 Rp/kWh.

 

Hintergrund der Preise ist, dass gemäss aktuell gültigem Energiegesetz Elektrizität aus erneuerbaren Energien entsprechend der dadurch vermiedenen Kosten des Netzbetreibers für die Beschaffung gleichwertiger Elektrizität zu vergüten ist. Entgegen der Richtlinien von 2008 fehlt hier explizit der Verweis auf „neue inländische Produktionsanlagen“. Die Konsequenz: Regenerativ, in der Schweiz erzeugte Elektrizität hat gemäss dieser Rechnung den gleichen Wert wie Strom aus altenlängst amortisierten Kohlekraftwerken im Ausland. Entspricht das im Jahr 2020 – dem Jahr des wärmsten Winters der Schweizer Geschichte – dem Volkswillen?

 

 

Zubauziele zur Dekarbonisierung

 

Für erneuerbare Energien bestehen ambitionierte Zubauziele, um Atomkraftwerke kosteneffizient zu ersetzen und den Verkehr zu dekarbonisieren. Die im Kanton St.Gallen projektierten Windparks Krinau und Rheinau können genug Strom liefern, um rund 10% der st.gallischen Autoflotte zu elektrifizieren. Doch offen sind nicht nur die Bewilligungen, sondern auch die Vergütung des Stroms. Dass neu zugebaute Kraftwerke gemäss einem Referenzpreis vergütet werden sollen, der sich nach den Produktionskosten der günstigsten inländischen neuen Kraftwerke richtet, hält die Grünliberale Partei für angemessen. Ihre Kantonsrätin Sonja Lüthi geht davon aus, dass Solarstrom heute mit unter 9 Rp/kWh die günstigste Option zum Ausbau der Stromproduktion im Kanton St. Gallen ist. Sollten dann nicht etwa 9 Rp/kWh vergütet werden, oder wie sonst sollen die Zubauziele erreicht werden? 

 

 

Tarif-Wirrwarr in der Ostschweiz

 

Der Verband unabhängiger Energieerzeuger (VESE) bringt seit 2015 auf www.pvtarif.ch Licht in die unübersichtlich unterschiedliche Vergütungspolitik der Elektrizitätswerke. Die kantonseigenen Sanktgallisch-Appenzellischen Kraftwerke (SAK) haben viele Solarstromproduzenten enttäuscht: Wurden 2017 5.45 Rp/kWh vergütet, waren es 2018 noch 4.75 Rp/kWh. Weil die Preise auf dem europäischen Strommarkt steigen, sind es 2020 wieder 6.23 Rp/kWh. Aus der pvtarif-Karte wird jedoch ersichtlich, dass Solarstrom von der West- bis in die Zentralschweiz besser vergütet wird. 2017 war die BKW-Vergütung noch schlechter als jene von SAK, doch nach verschiedenen gerichtlichen und bilateralen Verhandlungen erhalten PV-Produzenten im Bernbiet mittlerweile 8.71 Rp/kWh für den Solarstrom inklusive Herkunftsnachweis. (SAK kauft die Herkunftsnachweise - die Zertifikate für die Sauberkeit - separat über eine Ausschreibungsplattform, auf der jährlich neu geboten werden muss, und die meisten Solarstrom-Anbieter leer ausgehen.)

 

In der Ostschweiz bestehen viele kleine Elektrizitätswerke, einige unterstützen den Solar-Zubau grosszügiger, andere weniger. Um das Potenzial der erneuerbaren Energien effizient zu erschliessen, ist ein sicherer Absatztarif essenziell. Dies hat die glp Kantons- und Stadträtin Sonja Lüthi bereits 2011 in ihrer Doktorarbeit an der Universität St. Gallen erkannt, und das Thema ist heute aktueller denn je. Heute ist es auch günstiger denn je: Mit gesicherten 9 Rp/kWh für Solar- und Windkraft kann die Eigenversorgung vom Kanton St. Gallen in Elektrizität und damit auch an „Kraftstoff“ für eine CO₂ -neutrale Mobilität zügig ausgebaut werden. 

 

 

Zurück zur Orientierung an den günstigsten Produktionskosten

 

Hätte es die KEV nie gegeben, hätte die Schweiz heute keine 5500 Solarprofis, und die Elektrizitätsbranche keine Erfahrung, wie zehntausende dezentrale Solaranlagen ins Netz zu integrieren sind. Die Anschub-Finanzierung hat sich gelohnt, doch nun wo Solarstrom die günstigste Option für den Ausbau der regionalen Stromversorgung ist, darf die Entwicklung nicht durch ein Tarif-Wirrwarr gebremst werden. Solaranlagen werden dort gebaut, wo sie kostendeckend vergütet werden - d.h. aktuell eher in der Westschweiz. Rund 20% der PV-Investitionen fliessen in Form von Steuern an den Kanton und die Gemeinden zurück. Nationale Fördergelder für den Zubau der erneuerbaren Energien würden vermehrt in die Ostschweiz fliessen, wenn die hiesigen Elektrizitätswerke auch nur zwei Drittel des Tarifs bezahlen würden, den sie vor 15 Jahren bezahlten. Die Grünliberalen fordern deshalb die Regierung auf, die Möglichkeiten zu prüfen, inwiefern erneuerbare Elektrizität im Kanton St. Gallen wieder in Anlehnung an die Kosten neuer inländischer Produktionsanlagen vergütet werden kann. Zumindest der kantonseigene Energieversorger SAK könnte damit bekräftigen, dass er für die wachsende Eigenversorgung der Region mit sauberem Strom offen ist.