Dienstag, 30. November 2021

Wil-West soll mehr als ein A1-Anschluss mit 1700 Parkplätzen werden

Welche Arbeitsplätze werden dereinst in Wil-West zu finden sein? Welchen Bedürfnissen muss das Areal zukünftig genügen, unter anderem in Zeiten von Homeworking? Zentrale Fragen bleiben ungeklärt. Einzig die Frage der Parkhäuser und deren Bewirtschaftung wurden relativ genau umrissen.

Kantonsratsbeschluss über einen Sonderkredit für die Arealentwicklung Wil West


Zusammenfassend ist das Projekt für die Region eine grosse Chance attraktive Arbeitsplätze für die Zukunft anzusiedeln. Leider wurde es aber verpasst, eine nachhaltige Vision mit sinnvollen Zwischenschritten steuerbar zu machen. Aus grünliberaler Sicht beurteilen wir das vorliegende Projekt deshalb als inkonsequent und zwiespältig. Es besteht ein erhebliches Risiko, dass vom Projekt nicht viel mehr als ein Autobahnanschluss übrigbleibt. Wir haben uns deshalb der Stimme enthalten.


Die Mehrheit im Kantonsrat hat den Kredit problemlos bewilligt und war nicht mal bereit, den Auftrag zu unterstützen, dass sich das Projekt an den Pariser Klimazielen orientieren muss. Enttäuschend!
 


Franziska Cavelti Häller, vorgetragen von Ruedi Mattler, im Namen der Grünliberalen
 

Der Name «Wil West» steht für die Vision, Gewerbe- und Industriezonen in der ganzen Region zu bündeln und entlang der Verkehrsachse zwischen Winterthur und St.Gallen einen Wirtschaftshub zu realisieren. Das Gesamtvorhaben umfasst zahlreiche raumplanerische, verkehrliche und infrastrukturelle Massnahmen und soll im Laufe von zwei bis drei Jahrzehnten diverse Unternehmen ansiedeln und bis zu 3'000 Arbeitsplätze schaffen.


Der wirtschaftliche Abstand zwischen Metropolen und ländlichem Raum wird immer grösser. Die Agglomerationen dazwischen haben im Standortwettbewerb Schwierigkeiten gegenüber den Städten ihre Stärken zu entfalten. Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung des Wirtschaftsgebiets Wil-West von wesentlicher Bedeutung für die ganze Region. Da zudem die Gemeinden der Region zukünftig auf neue Einzonungen für Industriegebiete verzichten, wird die fortschreitende Zersiedelung etwas gebremst.


Ein weiteres Anliegen des Projektes ist die verkehrstechnische Entlastung der Stadt Wil und der Gemeinden der Region. Das umfangreiche Verkehrskonzept besteht aus dem geplanten Autobahnanschluss, der viel diskutierten Netzergänzung Nord, sowie die durch den Kanton Thurgau zu erstellende Dreibrunnenallee, welche das Areal Wil-West dereinst erschliessen soll. Zusammen mit zwei neuen Bushaltestellen, einer neuen Buslinie zwischen Sirnach und Wil, sowie zwei Bahnhaltestellen soll ein attraktives, städtisches ÖV-Angebot geschaffen werden.


Im Projekt sind bereits heute zahlreiche Player involviert: zwei Kantone, die Gemeinden der Regio Wil, als Auftraggeber und diverse Organisationen zur Umsetzung. Für Vermarktung und Verkauf ist eine zusätzliche Organisationsstruktur vorgeschlagen mit der Holding Wil-West, der Entwicklungsgesellschaft, der Betriebsgesellschaft, einem Soundingboard und einem Beirat. Dieses Konstrukt ist zwar breit abgestützt, aber auch sehr komplex. Die Arealentwicklung erstreckt sich über 20 bis 30 Jahre, d.h. dass diejenigen, die heute das Projekt federführend planen, werden für weite Teile der Umsetzung nicht mehr in der Verantwortung sein.


Zudem gibt es zahlreiche Unbekannte. Welche Arbeitsplätze werden dereinst in Wil-West zu finden sein? Welche Firmen werden sich ansiedeln? Welchen Bedürfnissen muss das Areal zukünftig genügen, unter anderem in Zeiten von Homeworking? All diese zentralen Fragen sind ungeklärt. Einzig die Frage der Parkhäuser und deren Bewirtschaftung wurden relativ genau umrissen. Es scheint heute schon klar zu sein, dass dereinst 1’700 Parkplätze notwendig sein werden. So wird die geplante Nachfragesteigerung des ÖV-Angebotes wohl nicht gelingen – geschweige denn die Verkehrsentlastung in der Stadt Wil, wenn auf einen Modalsplit für den Fuss- und Veloverkehr komplett verzichtet wird. Zudem müssen die Parkhäuser von den anzusiedelnden Firmen finanziert werden, womit diese für die Arbeitnehmer subventioniert sind und damit kein finanzieller Anreiz besteht, ohne Auto zur Arbeit zu gelangen. Es fehlt die Kostenwahrheit.


Was sind die drängendsten Probleme unserer Zeit? Klimaveränderung, Energieverbrauch, Rückgang der Biodiversität. Die Ursachen für diese Probleme sind hinlänglich bekannt und fussen in Entscheidungen und Unwissenheit in der Vergangenheit. Die Entwicklung eines Wirtschaftsareals bietet daher die einmalige Möglichkeit, zu zeigen, dass wir aus der Vergangenheit etwas gelernt haben. Dass nachhaltiges Wirtschaften möglich ist, ohne die Natur und damit die Zukunft unserer Kinder über Massen zu belasten. Leider verströmt die Botschaft der Regierung jedoch mehr den Geist der Vergangenheit als den der Zukunft.


Das vorliegende Geschäft ist eine reine Finanzvorlage. Wir sollen heute der Regierung einen Blanco-Chèque über 35 Millionen Franken ausstellen, ohne wirklich zu wissen, was wir dafür dereinst erhalten. Eine Etappierung der Vorlage mit der Möglichkeit, durch einzelne Kreditanträge das Projekt laufend zu justieren, wäre wohl zwingend notwendig gewesen.


Zusammenfassend ist das Projekt für die Region eine grosse Chance, attraktive Arbeitsplätze für die Zukunft anzusiedeln. Leider wurde es aber verpasst, eine nachhaltige Vision in der Botschaft nicht nur zu beschreiben, sondern auch mit sinnvollen Zwischenschritten steuerbar zu machen. Aus grünliberaler Sicht beurteilen wir das vorliegende Projekt deshalb als inkonsequent und zwiespältig.


Es besteht ein erhebliches Risiko, dass vom Projekt nicht viel mehr als ein Autobahnanschluss übrigbleibt. Wir haben deshalb den Antrag auf eine Etappierung des Kredites gestellt und bitten den Rat um entsprechende Unterstützung.

 

(Foto: Astra)