Motion Bisig-Rapperswil-Jona (5 Mitunterzeichnende):
2021 wird vielleicht das Jahr, in dem die Schweiz endlich die Ehe für alle einführt, 20 Jahre nach den Niederlanden. Trotz vieler Fortschritte im Kampf für die Rechte von LGBTQIA-Menschen bleibt ein langer Weg zu gehen, bis tatsächlich Gleichstellung erreicht ist. Für St.Galler*innen mit einer von der Heteronormativität abweichenden sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, also lesbische, schwule, bisexuelle, trans, queere, intersexuelle oder asexuelle Personen ist Diskriminierung leider immer noch Alltag. Besonders erschreckend ist, wie häufig es zu psychischer, verbaler, körperlicher oder sexueller Gewalt kommt. Die im November 2016 ins Leben gerufenen Helpline der LGBTI-Dachverbände erfassen im Durchschnitt schweizweit ein Hassdelikt pro Woche, wobei das Ausmass der körperlichen Gewalt mit fast einem Drittel der Fälle besonders schockierend ist. Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Fälle ist zudem sehr hoch.
LGBTI-Feindlichkeit führt dazu, dass sich LGBTI-Personen in der Öffentlichkeit anpassen, ihr Verhalten ändern oder sich verstecken. LGBTI-Feindlichkeit führt aber auch zu Selbsttötungen. In der Schweiz laufen junge Lesben, Bisexuelle und Schwule zwei- bis fünfmal mehr Gefahr, einen Suizidversuch zu unternehmen als heterosexuelle Jugendliche. Bei Trans- und Inter-Menschen ist die Gefahr sogar zehnmal höher als bei heterosexuellen Personen.
Der Hass der Täter*innen richtet sich gegen das Anderssein. Der Angriff soll eine geglaubte soziale Hierarchie aufrechterhalten, es soll ein Exempel statuiert werden. Unsere Gesellschaft darf solche Angriffe gegen die Freiheit und Würde von Minderheiten jedoch nicht akzeptieren. Um LGBTI-Feindlichkeit im Kanton St.Gallen zu bekämpfen braucht es einen Aktionsplan. Ein solcher Aktionsplan sollte mindestens die Punkte 1) statistische Erfassung von Hate Crimes, 2) Schulung und Sensibilisierung der Strafverfolgungsbehörden sowie 3) Aufklärung und Prävention
beinhalten.
1. Statistische Erfassung
Trotz zahlreicher internationaler, von der Schweiz unterzeichneter Abkommen, erfassen die Polizeibehörden den homo-, bi-, inter- und trans-feindlichen Charakter physischer und verbaler Gewalttaten nicht. Der Europarat riet deshalb in seinem fünften Bericht zur Schweiz 2014 den Behörden „statistische Daten über rassistische, homophobe oder transphobe Motive von Straftaten“ zu erfassen. Die beschlossene Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm um das Kriterium der sexuellen Orientierung wird zwar als neuer Straftatbestand die Erfassung gewisser Arten LGB-feindlicher Aggressionen nach sich ziehen. Das gilt jedoch bei Weitem nicht für alle Straftaten, denen ein LGBTI-feindliches Tatmotiv zugrunde liegt.
In der Antwort auf die Interpellation 51.14.50 der GLP-BDP-Fraktion aus dem Jahr 2014:
«Systematische Erfassung homophober Gewalt» bestätigt die Regierung, dass «die systematische Erfassung angezeigter homophober Gewalttaten durch die Polizei aus technischer und administrativer Sicht grundsätzlich möglich wäre.» Die erfassten Statistiken werden ein klares Bild der Sicherheitslage im Kanton St.Gallen liefern. Es ist unerlässlich, dass der Staat den Umfang dieser Aggressionen kennt, um effizient gegen die LGBTI-Feindlichkeit vorgehen zu können. Das sieht auch die Regierung in ihrer Antwort zum GLP-BDP-Vorstoss 51.14.50 so: «Um Wissen aufzubauen und in Zukunft über Daten in dieser Problematik zu verfügen, wäre allenfalls eine entsprechende Erhebung sinnvoll.»
2. Schulung und Sensibilisierung der Strafverfolgungsbehörden
Die wenigsten Hate Crimes werden zur Anzeige gebracht. Es wird geschätzt, dass bloss 10-20% der LGBTI-feindlichen Gewaltvorfälle angezeigt werden. Grund dafür sind die Angst vor den Folgen, mangelnde Erfolgschancen, Beweisprobleme, der grosse Aufwand und Scham. Um zumindest einige dieser Gründe zu eliminieren, sollen Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte sowie weitere juristische Fachpersonen entsprechend weitergebildet und sensibilisiert werden. Nur so können Hasstaten zur Anzeige gebracht und die Opfer angemessen geschützt werden.
3. Aufklärung und Prävention
LGBTI-Feindlichkeit betrifft die ganze Gesellschaft. Zivilcourage und Engagement verschiedener Akteur*innen sind für die Prävention zentral. Um eine nachhaltige Veränderung der Gesellschaft zu ermöglichen und somit die Akzeptanz von LGBTI-Personen zu erhöhen, muss bei den Schulen angesetzt werden. Trotz Lehrplan 21 ist es noch immer von der Lehrperson abhängig, ob das Thema LGBTI überhaupt umfassend behandelt wird und die Schüler*innen entsprechend sensibilisiert werden. Um diesen Missstand zu beheben, braucht es eine Förderung entsprechender Aufklärungsprogramme in der Volkschule und den weiterführenden Schulen.
Motion
Die Regierung wird eingeladen einen Entwurf vorzulegen, der die gesetzlichen Grundlagen dahingehend ändert,
1) dass Aggressionen mit LGBTI-feindlichem Charakter im Kanton St.Gallen erfasst, analysiert und publiziert werden,
2) dass Angehörige der Strafverfolgungsbehörden in ihrer Grundausbildung sowie in Weiterbildungen für den Umgang mit LGBTI-feindlichen Aggressionen geschult werden,
3) dass der Kanton als Präventionsmassnahme Aufklärungsprogramme zum Thema LGBTI in den Schulen unterstützt.»
16.02.2021 Bisig-Rapperswil-Jona
Mitunterzeichner*innen:
Cavelti Häller-Jonschwil
Lüthi-St.Gallen
Noger-Engeler-Häggenschwil
Mattle-Altstätten
Monstein-St.Gallen